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Predigtgedanken von Pfarrerin Rahel Hahn zum 2.Sonntag nach Epiphanias (15.01.2023)

Predigttext: 2 Mose 33, 18-23

 

Liebe Gemeinde! 

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Einfach nur dasitzen und dich anschauen …

Einfach nur dasitzen und sich versenken in den Anblick des über alles geliebten Menschen.

Mit liebenden Blicken sein schlafendes Kind betrachten.

Sich versenken in den Anblick des altgewordenen Vaters,

der altgewordenen Mutter, die einen durchs Leben begleitet haben.

 

Einfach nur dasitzen und dich anschauen.

Wer diesen Wunsch in sich verspürt, dem sind alle anderen Wünsche unwichtig                                    geworden – zumindest für diesen einen Augenblick.

 

Wem der Anblick des geliebten Menschen so wichtig geworden ist, dass alles andere in den Hintergrund tritt, dem geht es nicht mehr um ein vordergründiges Erlebnis.

Dem geht es nicht mehr darum, miteinander einen tollen Abend zu verbringen,                                       ins Kino zu gehen oder auf Urlaub zu fahren.

Nein, um Aktivität, um Spaß, um Action geht es dann nicht mehr                                                               (auch wenn das natürlich alles wichtig ist).

 

Es geht um den Augenblick höchstmöglicher Vertrautheit und Nähe.

Es geht um Intimität.

Und Intimität, das heißt wörtlich: dem Rand am fernsten.

Intimität meint wörtlich: Am weitesten innen.

 

Ein schönes Bild – oder? Da draußen, am Rand mag es laut sein und umtriebig.                                          Aber da innen, da sind nur wir beide. Du und ich.

Es ist der Augenblick, wo es vielleicht ganz still wird.

Eine Stille, in der nur noch eines zählt: Die Nähe des Anderen.

Eine Stille, in der vordergründig nichts geschieht.

Und die dennoch so ereignisreich ist: Eine Stille, in der es knistert.

 

Der HERR sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und ER sprach: Ich will vor deinem Angesicht  all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir:

Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

Und ER sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Felsen stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

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Mose auf dem Berg, im Zwiegespräch mit Gott: Ein Augenblick der Stille und Intimität.

Fast könnte man über der Stille der Szene vergessen, was sich nur wenige Augenblicke zuvor ereignet hat: Eine Tragödie nämlich, eine menschliche Katastrophe.

Das Volk, des Wartens überdrüssig, hat sich ein goldenes Kalb gegossen.

Es hat sich seinen eigenen Gott gemacht, einen Gott zum Anfassen, einen Gott, den man sieht, den man – buchstäblich – begreifen kann.

 

Und jetzt steht Mose also auf dem Berg. Wieder einmal.

Er ist hinaufgestiegen, frustriert vielleicht, enttäuscht, entmutigt;

den Lärm vom Tanz ums Kalb noch im Ohr; den Staub der zerschmetterten Gesetzestafeln an den Fingern.

Mose ist hinaufgestiegen, weil er reif ist.

Reif für den Berg.

Reif für die Einsamkeit, in der er, weitab vom Lärm, Gott begegnen möchte.

 

Vielleicht ist es für ihn eine Art Therapie, eine Art Durchatmen: Mose, den sein Volk immerzu vor sich hinzitiert, um sich zu beklagen; Mose, der sich für das widerspenstige Volk „den Hax´n“ ausreißt; Mose, der am besten Wege ins Burn-out ist – er will jetzt endlich Ruhe. Will einmal „alle Fünfe grade sein lassen“. Will auftanken.

 

Und so geht er also auf den Berg.

Und dort, im Verborgenen, in der Dunkelheit und Enge einer Felsnische, widerfährt ihm das Unglaubliche.

 

Es ist wie auf der Hochzeit von Kana: Was für Mose die Felsnische ist, ist dem Oberkellner in Kana der Weinkeller.

An beiden Orten, die so unscheinbar, so gewöhnlich wirken, ausgerechnet an diesen Orten offenbart sich der Herr der Welt.

Dort auf dem Berg kommt nach allem, was geschehen ist, für Mose der Moment, wo er spürt: Jetzt ist es soweit. Jetzt ist er da – der Moment. Der richtige Augenblick.

 

Es ist vielleicht vergleichbar mit jenem Moment, in dem uns ein „Du“ herausrutscht (obwohl man doch eigentlich noch per „Sie“ ist).

Der Augenblick, wo man sich Dinge erzählt, weil man plötzlich fühlt: Da ist eine Seelenverwandtschaft.

Der Augenblick, wo man einfach die Hand des Anderen ergreift, weil man spürt: Wir gehören zusammen – auch ohne es ausgesprochen zu haben.

So ein Moment ist das.

Und so spricht Mose es aus, bringt vor Gott seinen tiefsten, seinen innersten Wunsch. Einen Wunsch, der in der Stille des Berges Gestalt angenommen hat:

„Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“

 

Und Gott lässt sich darauf ein.

 

Allerdings: Etwas an Gottes Antwort irritiert.

Denn irgendwie entsteht der Eindruck, als habe Jahwe mehr gehört, als Mose                              tatsächlich gesagt hat:

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Hat Mose nicht darum gebeten, Gottes Herrlichkeit sehen zu dürfen?

Davon, dass er Gott von Angesicht zu Angesicht, dass er ihm ins Gesicht sehen will, davon hat er doch nichts gesagt?

 

Oder vielleicht doch?

 

Reden da zwei aneinander vorbei – oder hat Gott die Absicht des Mose einfach durchschaut?

Spricht Gott das aus, was Mose in etwas unverfänglichere Worte gepackt hat? Weil ihm (Vertrautheit hin oder her) sein Wunsch dann doch etwas zu ungeheuerlich vorgekommen ist, ein Wunsch, der da lautet:

Lass mich dich sehen Gott, lass mich dir in dein Gesicht sehen, lass mich deine Gesichtszüge lesen, damit ich dich ganz fassen, ganz begreifen kann?

 

Und wie?

Was würden wir sehen wollen, wenn wir an Gott diesen Wunsch richten würden. Den Wunsch:        Zeige dich Gott. Lass mich dich betrachten. Lass mich in dein Gesicht sehen!

 

Wollen wir das überhaupt: Gott ins Gesicht sehen?

Ihn so betrachten, wie einen geliebten Menschen, ganz in den Anblick versunken.

Ein Moment höchster Intimität.

Der Augenblick, wo es vielleicht ganz still wird.

Eine Stille, in der nur noch eines zählt: Die Nähe Gottes.

Eine Stille, in der vordergründig nichts geschieht. Und die dennoch so ereignisreich ist.                      Eine Stille, in der es knistert, weil wir erkennen: Jetzt ist Gott ganz nah.

 

Gott ins Gesicht sehen:

Seine Regungen betrachten, wenn wir uns freuen; wenn wir lachen und zusammenhalten; wenn wir nach seinem Willen leben.

Gott ins Gesicht sehen. Sehen, was sich darin regt, wenn seine Kreaturen geschunden werden, wenn seine Welt ausgebeutet und seine Geschöpfe mit Füßen getreten werden.

 

Gott ins Gesicht sehen:

Wenn sich sein Innerstes umdreht, wenn sich vor Mitleid mit seinen Geschöpfen seine Eingeweide regen – denn das heißt das hebräische Wort für Erbarmen wörtlich – wäre es das?

 

Gott ins Gesicht sehen? Wäre das ein verständlicher Wunsch?

Oder wäre es kindlich, naiv? Kinderglaube von gestern?

 

Und: Wie ginge es nach dieser Schau weiter?

Was wüssten wir von Gott, nachdem wir ihm ins Gesicht gesehen haben?

Wüssten wir mehr?

Hätten wir Gott verstanden?

Oder wären wir nur ratloser?

Verwirrter?

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Nicht klüger als vorher …?

 

In der biblischen Geschichte ist es Gott selbst, der den intimen Wunsch Moses geradezu heraufbeschworen hat. In bis dahin unübertroffener Zutraulichkeit gesteht Gott dem Mose:                  Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.

Wen wundert es, dass Mose die Gelegenheit beim Schopf packt und den sehnlichsten aller Wünsche preisgibt?

 

Doch Gott schraubt die hohen Erwartungen des Mose Schritt für Schritt wieder zurück.

Es ist ein behutsamer Vorgang.

Gott stößt Mose nicht vor den Kopf.

Er weist das Ansinnen des Mose nach einer unmittelbaren und umfassenden Gottesschau nicht brüsk und erzürnt zurück.

 

Gott richtet vielmehr das Augenmerk auf das Zumutbare.

Auf das, was Menschen an Gotteserkenntnis möglich ist.

 

Er lenkt den Blick auf das, was für uns Menschen viel wichtiger, viel lebensnotwendiger ist, als Gott ins Gesicht zu starren.

Gott lenkt die Bitte des Mose um und ermöglicht so die Erkenntnis dessen, was Gottes Güte, was seine Nähe wirklich ausmacht:

Segnungen, Wohltaten, Gutes und Barmherzigkeit. Leben aus der Fülle dessen, was Gott uns schenkt. In der Tat: auf etwas Sichtbares.

Aber etwas, das sich uns vielleicht erst auf den zweiten Blick als Zuwendung Gottes erschließt.

Etwas, das zunächst gar nicht mit Gott in Verbindung zu bringen ist.

Etwas, das erst im Nachhinein erkennbar wird, im Nach-Sehen.

 

Mose erfährt die Nähe Gottes nicht vom sonnenüberfluteten Gipfel des Berges aus. Nicht an einem extra dafür geschaffenen, paradiesischen Ort. Nicht an einem romantischen oder besonders heiligen Plätzchen.

Nein!

Gott offenbart sich Mose in der Kargheit und Beklemmung einer Felsspalte.

Die Enge und Finsternis einer Felsspalte, ein Ort, an dem nichts mehr wirklich zu erkennen ist – ausgerechnet dieser Ort wird zur Oase der Begegnung.

Weil es eben nicht nötig ist, den Raum für die Gottesbegegnung umzugestalten.

Denn: Der in der Krippe zur Welt kam, der kann uns auch in der Felsspalte begegnen. Oder im Weinkeller. Wie auf der Hochzeit zu Kana.

Sobald wir versuchen, sobald wir uns aufrichtig danach sehnen, aus der Nähe Gottes zu leben, kann jeder Ort zur Stätte der Begegnung mit ihm werden.

 

Gott wird uns jedenfalls nichts von dem vorenthalten, was für den Kontakt mit ihm wichtig und grundlegend ist.

Wenn er Mose verspricht, all seine Güte an uns Menschen vorüberziehen zu lassen, dann heißt das:

Ich selbst, Gott, bin es, der dich spüren lässt, dass es mich gibt, dass du nicht alleine bist.                 Dass du aus der Kraft meiner Nähe lebst und schöpfst.

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Gottesbegegnungen sind Geschenke. Es sind unverfügbare Momente.

Gottesbegegnung widerfährt uns – im Nachdenken, im Nachsinnen über das Erlebte.

Es sind, wenn man so will, die „Aha-Momente“ unseres Lebens mit Gott.

 

Bevor wir auf Gottes Nähe zu sprechen kommen, wäre daher etwas anders viel wichtiger: Erzählen, was wir erlebt haben.

 

Erzählen von dem, was uns Freude bereitet – oder das, von dem wir nicht so recht wissen, was wir davon halten sollen.

Erzählen von einem Menschen, der in unserem Leben die Sonne scheinen lässt.

Erzählen von der tiefsten Dunkelheit, …

Erzählen und im Hinterher-Sehen begreifen, dass es Geschichten mit Gott waren – auch wenn sein Name gar nicht vorkommt.

Erzählungen, Erlebnisse, die uns im Rückblick, im Nach-Sehen das zeigen, was wir Gotteserfahrung, nennen dürfen. Leben aus seiner Kraft, seiner Fülle. Seiner Zuwendung. Seiner Barmherzigkeit.

Die Erkenntnis, dass Gott eben doch da war. Hier bei uns. Ganz nahe.

 

Wir alle haben unsere Felsspalten.

Wir alle haben unseren Weinkeller.

Erzählen wir davon!

Denn es sind Geschichten von Gott!

Amen.

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